Mittwoch, 13. Juli 2011

Die zehn Gebote (8) I

Das achte Gebot
"Du sollst nicht stehlen."
[Ausnahmsweise übernehme ich hier den Text, dem 83. Kapitel, aus dem zweiten Band der "Geistigen Sonne" das (ISBN: 9783874952071)]

Daß anfänglich unter dem Begriffe „Stehlen“ unmöglich die eigenmächtige Wegnahme der materiellen Güter eines andern verstanden werden konnte, erhellt klar daraus, daß besonders zur Zeit der Gesetzgebung niemand aus dem israelitischen Volke ein Eigentum besaß. Selbst als das Volk ins Gelobte Land gezogen war, war seine staatliche Verfassung so bestellt, daß niemand in diesem Lande ein vollrechtliches Eigentum besitzen konnte. Sondern es war dabei soviel als möglich auf eine Gütergemeinschaft abgesehen, und ein jeder dürftige Israelit, wenn er im übrigen in der göttlichen Ordnung lebte, mußte allenthalben die gastfreundlichste Aufnahme und Unterkunft finden.
Wäre aber in diesem Gebote unter dem Stehlen die willkürliche und eigenmächtige Wegnahme des Gutes eines andern verstanden worden, so fiele, wie es im Verlaufe dieser Darstellung hinreichend klar gezeigt wurde, unfehlbar der Tadel auf den Gesetzgeber, indem Er dadurch gewisserart stillschweigend dem Erwerbe, der Industrie und somit auch dem Wucher das Wort gesprochen hätte. Denn das muß doch jedem Menschen auf den ersten Blick in die Augen fallen, so er nur eines etwas helleren Denkens fähig ist, daß das Eigentumsrecht dann als vollkommen sanktioniert und bestätigt eingeführt ist, sobald man ein Gesetz gibt, durch welches das Eigentum eines jeden als vollkommen gesichert erscheinen muß.
Wie könnte man aber auf der andern Seite ein solches Gesetz von jenem Gesetzgeber erwarten, der mit Seinem eigenen Munde zu Seinen Schülern gesprochen hat: „Sorget euch nicht, was ihr essen und trinken werdet und womit euren Leib bekleiden, denn das alles ist Sache der Heiden. Suchet vor allem das Reich Gottes; alles andere wird euch schon von selbst hinzufallen.“
Weiter spricht derselbe Gesetzgeber: „Die Vögel haben ihre Nester und die Füchse ihre Löcher, aber des Menschen Sohn hat nicht einen Stein, den Er unter sein Haupt lege!“ Andererseits wieder sehen wir Seine Schüler sogar an einem Sabbate Ähren raufen, also offenbar stehlen. Als sich aber die Eigentümer des Ackers darüber beschwerten, saget: wer bekam da von dem großen Gesetzgeber den Verweis und eine recht empfindliche Zurechtweisung? Ihr brauchet nur im Buche nachzusehen und es wird euch alles klar sein.
Weiter sehen wir denselben Gesetzgeber einmal in der Lage, einen Mautzins entrichten zu müssen. Hat Er in Seine eigene Tasche gegriffen? O nein, sondern Er wußte, daß im nahen See ein Fisch einen verlornen Stater verschluckt hatte. Der Petrus mußte hingehen, dem durch die Kraft des Herrn gehaltenen Fische die Münze aus dem Rachen nehmen und mit derselben den Mautzins bezahlen.
Ich frage aber: Hat nach euren Eigentumsrechten der Finder auf ein auf was immer für eine Weise gefundenes Gut das verfügbare Eigentumsrecht? Mußte der große Gesetzgeber nicht wissen – oder wollte Er es nicht wissen –, daß Er von diesem im Fische gefundenen Gute nur auf ein Dritteil das verfügbare Eigentumsrecht hatte, und zwar erst nach vorausgegangener öffentlicher oder amtlicher Bekanntgebung seines Fundes? Er hat solches nicht getan. Sonach hat Er offenbar einen zweidritteiligen Diebstahl oder, was ebensoviel ist, eine Veruntreuung begangen.
Ferner ließe sich nach den Rechtsprinzipien fragen – wenn man voraussetzt, daß nur wenige Juden es in der Fülle wußten, wer eigentlich Christus war –, wer Ihm das Recht eingeräumt hat, die bewußte Eselin ihrem Eigentümer abnehmen zu lassen und sie dann Selbst nach Seinem Gutdünken zu gebrauchen.
Man wird hier sagen: Er war ja der Herr der ganzen Natur und Ihm gehörte ja ohnehin alles. Das ist richtig, aber wie spricht Er denn in weltlicher Hinsicht, daß des Menschen Sohn keinen Stein habe, und auf der andern Seite spricht Er, daß Er nicht gekommen ist, das Gesetz aufzuheben, sondern es zu erfüllen bis auf ein Häkchen.
Wenn wir Seine Geschichte verfolgen wollten, so würden wir noch manches finden, wo der große Gesetzgeber nach den gegenwärtigen Eigentumsrechtsprinzipien und nach der umfassenden juridischen Erklärung des siebenten Gebotes gegen eben diese Rechtsprinzipien sich offenbar vergriffen hat. Was würde hier dem geschehen, der einem Eigentümer einen Baum zerstörte oder der eine große Herde von Schweinen vernichtete und dem mehr? Ich meine, wir haben der Beispiele genug, aus denen sich mehr als klar ersehen läßt, daß der große Gesetzgeber mit diesem siebenten Gebote einen ganz anderen Sinn verbunden hat, als er nach der Zeit von der habsüchtigen und eigennützigen Menschheit ausgeheckt worden ist.
Man wird sagen: Das ist nun ganz klar und ersichtlich; aber welchen Sinn Er damit verbunden hat, das liegt noch hinter einem dichten Schleier! Ich aber sage: Nur Geduld! Haben wir bis jetzt die falsche Auffassung dieses Gebotes gehörig beleuchtet, so wird die rechte Bedeutung dieses Gebotes sich sicher auch leicht finden lassen; denn jemand, der die Nacht zu durchblicken vermag, dem darf es doch wohl nicht bange sein, daß er am Tage zu wenig Licht haben wird.
Was heißt denn hernach im eigentlichen wahren Sinne: „Du sollst nicht stehlen?“ – Im eigentlichen Sinne heißt das so viel:
Du sollst nimmer die göttliche Ordnung verlassen, dich nicht außer dieselbe stellen und der Rechte Gottes dich bemächtigen wollen. –
Was aber sind diese Rechte und worin bestehen sie? Gott allein ist heilig und Ihm allein kommt alle Macht zu! Wen Gott selbst heiliget und ihm die Macht erteilt, der besitzt sie rechtmäßig; wer sich aber selbst heiligt und die göttliche Macht an sich reißt, um im Glanze derselben eigennützig und habsüchtig zu herrschen, der ist im wahrhaftigen Sinne ein Dieb, ein Räuber und ein Mörder!
Wer also eigenmächtig und selbstliebig durch was immer für äußere Schein- und Trugmittel, seien sie irdischer oder geistiger Art, sich über seine Brüder erhebt, der ist's, der dieses Gebot übertritt. In diesem Sinne wird es auch diese Kinder hier (im Himmel, Anm. H.K.) gelehrt, und ihnen auf praktischem Wege gezeigt, daß da kein Geist je die ihm innewohnende Kraft und Macht eigenmächtig gebrauchen soll, sondern allzeit nur in der göttlichen Ordnung.


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