Mittwoch, 22. Dezember 2010

Wie Werner Wegemut das Lieben lernte

Eine Weihnachtsgeschichte von Martina C.Gruber

In einem ganz verschneiten Park, in dem sich viele Bäume ringen, steht unter einer großen Tanne auch eine Sitzbank. Noch ist sie leer und es ist die einzige, die nicht ganz verschneit ist. Einige Meter entfernt kommt ein älterer Mann – so Ende fünfzig – mit langsamen und schwerfälligen Schritten den verschneiten Weg entlang, bis er genau vor dieser Bank zu stehen kommt. Es scheint als ob er lange überlegen müsste, ob er sich setzen wolle oder nicht. Dann setzt er sich endlich doch. Obwohl elegant gekleidet und mit einem Spazierstock ausgestattet, macht er einen eher verlorenen Eindruck. Sein Gesicht ist von tiefen Furchen gezeichnet und spiegelt eine gewisse Bitterkeit wieder.


So scheint der Mann mit schweren Gedanken beschäftigt, die seinen Rücken sehr gebeugt halten. Es ist schlimm für ihn, denn er ist schwer geschlagen und die Trübnis seines Herzens ist in einem tiefen Seelenkampf zu erkennen. Und was alles noch schlimmer macht – es ist Weihnachtsabend ! Im Grunde besitzt er alles was er wollte und noch mehr. Und dennoch ist sein Leben unerfüllt und kalt geblieben. Er ist so in seine Gedanken vertieft, daß er gar nicht bemerkt, daß sich noch jemand der Bank genähert hat. Es ist ebenfalls ein Mann, der sich unbemerkt hinzugesetzt hat. Beide Männer schweigen.

Ärgerlich und frustriert, aber auch mit Traurigkeit im Herzen, hackt der gutgekleidete Mann mit dem Stock auf den verschneiten Boden ein lautes Seufzen dringt aus seinen schmalen Lippen. „Ist wohl ein schwieriges Leben, das sie haben – wollen Sie darüber reden?“ sagt eine sehr herzliche Stimme. Jetzt erst bemerkt der alte Mann, daß er nicht alleine ist. Irgendwie ist er von der Herzlichkeit der Stimme berührt, obwohl er lieber allein geblieben wäre. Er schaut noch immer nicht von seinem aufgehackten Boden auf.

„Ist nicht der Rede Wert!“ entgegnet er, sich um Stärke bemühend, was jedoch eher als Härte ankommt. Noch immer auf den Boden starrend. „Ich würde ihnen gerne helfen! Mein Name ist Pit!“ sagt wiederum der andere Mann und seine Stimme bekommt etwas ganz Warmes.Nun ist der alte Herr doch herausgerissen aus seinen trüben Gedanken und er blickt den anderen erstaunt an.

„Werner Wegemut!“ stellt er sich knapp vor. Rau ist seine Stimme und Bitterkeit schwingt mit. Neben sich erblickt er einen Mann – Mitte vierzig – mit äußerst verschlissenen Hosen und einer völlig abgetragenen Jacke, die nicht ganz sauber erscheint. Eine Mütze die er tief ins Gesicht gezogen hat und einen dicken langen Schal. Mit einem Blick erkennt er, daß dieser Mensch auf der bedürftigeren Seite des Lebens zu stehen scheint.

Erwartungsvoll schaut Pit den Werner an und sagt nochmals: „Schwere Probleme?“ Wieder schaut Werner auf seine Stiefelspitzen und bohrt mit dem Stock weiter. „Weihnachten!“ sagt Werner. „Jedes Jahr das selbe! Erst bis Mittag arbeiten und dann alleine zu Hause!“ Und Jahr für Jahr sei das alles nur noch trostloser geworden. Nicht daß es an irgend etwas fehle. Werner erzählt davon, daß er ein Großindustrieller sei, der viele Mitarbeiter beschäftige und in einer großen Villa lebe. Autos und Swimmingpool – alles sei vorhanden ... und doch ... er sei nicht glücklich. Nichts als Einsamkeit. Pit schaut ihn mitfühlend an und nickt ihm zu. Er rückt näher an Werner heran und klopft verständnisvoll auf seine Schulter.

„Es ist schwer, wenn man keine liebevolle Familie um sich hat!“ sagt er und nickt wieder. Werner nickt ebenfalls. „Hatte eben nie Zeit dafür!“ Pit holt eine Tasche hervor und greift Shinein um ein Stück Käse und ein Stück Brot heraus zu ziehen. „Schon zu Weihnacht gegessen?“ fragt er und bietet Werner auch ein Stück davon an. „Schön, daß ich heute nicht alleine hier sitzen muß – sonst bin ich immer allein!“ „Sie sind immer hier?“ fragt Werner erstaunt. „Haben Sie denn kein Zuhause?“ „Nein!“ entgegnet Pit. Und auf die Frage, wie das denn so schlimm gekommen sei, erzählt er von seinem Schicksal. Dass er früher als Lehrer gearbeitet und ganz gut verdient habe. Auch sei er mit einer wunderbaren und auch schönen Frau verheiratet gewesen.

Aber eines Tages habe er von der Polizei einen Anruf erhalten, bei dem ihm mitgeteilt worden sei, daß seine Frau an einem Autounfall gestorben sei. Er hatte seine Frau Ruth so geliebt. Pit schweigt einige Minuten – Werner schweigt mit. Erschüttert ist er über die Tragik von Pit´s Lebensgeschichte. „Daran sind Sie dann wohl zerbrochen!?“ fragt Werner dann doch. „Ja, und dann habe ich auch noch die Arbeit verloren, weil ich zu viel getrunken habe. Und seit einigen Wochen lebe ich auf der Straße und schlafen lege ich mich meist in der Lagerhalle hinter dem Parkgelände!“ Davor sitze er aber meist hier auf gerade dieser Bank, weil die große Tanne mit ihren langen Armen alles so wunderbar trocken hält. Ja, sogar Geborgenheit vermittle ihm dieser Platz.

Und das sagt er mit einer Stimme die trotzdem mit einer inneren Wärme erfüllt ist. Werner ist erschüttert. Dagegen kommt er sich wie ein dummer Narr vor. Einer der sich über den goldenen Käfig beklagt, in dem er in Luxus schwelgt. „Aber wie kommt es, daß Sie so aufrecht sind. Sie haben nichts!“ ruft er erstaunt !Und Sie wollen mir helfen!?“ Ernst aber bedeutungsvoll antwortet Pit auf diese Frage: „Heute scheint es zwar noch immer schlimm; und doch hat sich in meinem Leben etwas wesentliches geändert. Ich hatte nämlich ein wunderbares Erlebnis!“ „Es war wieder mal ein Tag gewesen an dem ich zu viel getrunken hatte und hier unter diesem Baum schlief. Zuvor hatte ich wie immer mit Gott und der Welt gehadert.

Doch irgendwie kam mir in den Sinn doch mal mit Gott zu reden und ich betete insgeheim. >Gott – wenn es Dich wirklich gibt, so hilf mir bitte endlich. Aber ich glaube das ist vergebliche Liebesmüh Dich zu bitten!< Dann schlief ich ein.“ erzählt Pit und fährt fort. „Plötzlich schien ich einen Traum zu haben. Alles um mich herum war von Liebe umgeben und ein warmes Licht strahlte mich an. Auch war ein wunderbarer Gesang zu hören. Und plötzlich stand da ein Engel vor mir. Zwar hatte er keine Flügel wie man meist denkt, aber ich wusste einfach daß es ein Engel Gottes ist.“

„Pit – sagte er mit einer starken, aber sehr warmen Stimme. Gott schickt mich zu Dir! Er hat Deine Klagen wohl gehört und sein Herz hat Dich in Liebe angenommen. Er hat eine Botschaft für Dich!“ „Sei getröstet! Gott liebt Dich und hat Dich nicht vergessen! Seit er Dich erschaffen hat, bist Du sein Kind und bist vielfach von ihm und den Seinen geliebt und gesegnet“ „Er sagt Dir: Sei geduldig, denn ich werde Dir einen senden, der noch ärmer ist als Du – denn auch er weiß nichts von meiner Liebe! Hilf ihm und Dir ist geholfen!“ „Und dabei durchströmte mich auf wundersame Weise ein so tiefes Gefühl der Liebe, die alles in mir verwandelte und in Zuversicht einhüllte. Ich fühlte, daß ich etwas besonderes für Gott war – wie alle seine Kinder! Und ich fühlte mich durch und durch geliebt! Dann verblasste die Erscheinung – doch das Gefühl geliebt zu sein, blieb.“

„Das ist nun einige Wochen her!“ Pit schweigt nun wieder. „Gott!“ sagt Werner „an den glaube ich schon lange nicht mehr! Ich habe mir immer selbst geholfen und damit ein Vermögen gemacht!“ Einen Moment herrscht wieder Stille, dann redet er weiter, mit sehr ernstem Ton: Aber glücklich gemacht hat es mich nicht und heute ist es besonders schlimm!“ Zwischendurch nickt Pit und lässt Werner weiter reden. „Was kann ich denn noch vom Leben erwarten – ich habe alles und doch habe ich nichts! Ich habe keinen mit dem ich dieses Leben teilen kann. Und was ist das schon für ein Leben?“ Werner wird klar, daß er am wahren Leben vorbeigelebt hatte. Pit nickt verständnisvoll und klopft ihm wiederum sanft auf die Schulter.

„Es fehlt Ihnen die Liebe! All der Reichtum ist kalt ohne die wärmende Liebe und ohne all das mit anderen zu teilen!“ Und nachdenklich sagt Pit noch hinzu: „Ich wünschte mir, der Engel wäre auch Ihnen erschienen und ich könnte das mit Ihnen teilen was er mir wunderbares brachte!“ Wieder ist der Industrielle tief berührt von der Herzlichkeit dieses armen Menschen. Und plötzlich erkennt er, daß in Wahrheit ER der arme ist. Viel ärmer als Pit. Und er erkennt, daß er ein neues Leben beginnen müsse, in dem die Liebe vorherrschen muß. „Haben Sie schon zu Weihnachten gegessen?“ fragt diesmal Werner, der an sein üppiges Weihnachtsmahl denkt, das daheim auf ihn wartet. „Und haben Sie die Freundlichkeit eines meiner Gästezimmer zu benutzen?“

Pit strahlt vor Freude und nimmt die Hand die ihm gereicht wird dankbar an. Die beiden stehen auf und gehen Werners Villa entgegen. Dabei bereden die beiden vieles und Werner ist plötzlich ganz froh zumute, als er sich entschließt Pit wieder auf die Beine zu helfen. Auch hofft er etwas über Gott zu erfahren und noch mehr lieben zu lernen. Doch den ersten Schritt hatte er ja schon gemacht.Die beiden Männer machten auch später noch viel gemeinsam und wurden die besten Freunde.

So wurde die Niederkunft Gottes auf Erden auch nach zweitausend Jahren wiederum für zwei Menschen – zum wahren Fest der LIEBE, der Freude und des Friedens!

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